G8 oder G9

Derzeit liegen in vielen Rathäusern Unterschriftenlisten aus -auch in Much-, um im Rahmen eines Bürgerbegehrens die Abschaffung des Abiturs nach acht Jahren Gymnasium und die Rückkehr zur alten Regelung zu erreichen. Die Verkürzung der Abiturzeit auf zwölf Jahre (G8) wird von vielen als Fehler angesehen. Um die Jahrtausendwende war das noch ganz anders: Damals galt die schnelle Schule als modern und effizient. Vergebens warnten Bildungsexperten vor überfüllten Stundenplänen und drohendem Qualitätsverlust. Jürgen Rüttgers, von 1994 bis 1998 Bildungsminister im Kabinett Kohl, beklagte sich 1998 in einem Interview: „Die Deutschen sind zu alt, wenn sie in den Beruf kommen“. Briten und Franzosen verließen die Universitäten angeblich schon mit 25 Jahren, die Deutschen seien durchschnittlich 28, so Rüttgers: „Die jungen Leute in Deutschland verlieren also drei Jahre im Vergleich zu ihren Kollegen im Ausland. Das sind drei Jahre, die sie im Berufsleben nicht einholen können.“Die Drohung, Deutschland könnte den Anschluss an eine globalisierte Gesellschaft verlieren, wirkte. Studium, Schule – alles sollte effizienter werden: Wer mit 17 die Schule verlässt, wäre mit Anfang 20 schon als Bachelor-Absolvent verfügbar für den Arbeitsmarkt, so das Argument der Verfechter der Schulzeitverkürzung.Schneller, höher, weiter – für diese Ambitionen aus Wirtschaft und Politik müssen die Schüler heute bezahlen. Bei der Einführung des Turbo-Abis im Jahr 2005 hat die damals in NRW regierende CDU-FDP-Koalition unter Jürgen Rüttgers einen gravierenden Konstruktionsfehler gemacht. Schwarz-Gelb hatte durchgesetzt, dass die Sekundarstufe I um ein Jahr verkürzt wird. Die drei Jahre Oberstufe hingegen blieben unangetastet. Ausgerechnet bei den Jüngeren, die während der Phase der Pubertät mit Selbstfindungs- und Reifeproblemen zu tun haben, die sich außer mit Schule auch in ihrer Freizeit mit Sport, musischen Hobbys oder ehrenamtlicher Tätigkeit beschäftigen möchten, führte dies nun zu einer „Verdichtung“ des Lernstoffes und zu all den Problemen mit G8.

Die Verkürzung der Abiturzeit auf zwölf Jahre war fehlerhaft, weil die neue Schulstruktur völlig überstürzt eingeführt wurde und schlecht organisiert war. Es fehlten Schulbücher, die Lehrer machten einfach mit den gewohnten Lehrplänen weiter und verteilten einen Haufen Hausaufgaben. Und obwohl der Unterricht häufig bis weit in den Nachmittag verlängert wurde, fehlten Mensen. Doch seitdem ist viel passiert: Stundenpläne wurden entschlackt, Mensen gebaut, Hausaufgaben reduziert.

  • Ist es wirklich sinnvoll, alles wieder rückgängig zu machen? Bildungsexperten der Bertelsmann-Stiftung halten dies für falsch. Um Druck aus dem Lehrplan zu nehmen, müsse das achtjährige Abitur stattdessen an Ganztagsschulen gekoppelt werden, die ihren Namen verdienten.
  • Auch unter den Eltern ist das Bild nicht eindeutig. Zum Beispiel spricht sich die Landeselternschaft der Gymnasien in NRW gegen ein Zurück zum alten Abitur aus und erinnert daran, dass der Übergang von der Grundschule zum Gymnasium auch schon früher für Schüler und Eltern eine schwierige und belastende Zeit war. Vergleiche zeigen, dass die neuen Abiturienten nicht unbedingt schlechter abschneiden als diejenigen, die länger Zeit hatten.

Man macht es sich deswegen zu einfach, die verkürzte Schulzeit als einzige Ursache für gestresste Kinder und Jugendliche zu sehen. Mehr als die Hälfte eines Jahrgangs macht inzwischen Abitur, und für ehrgeizige Väter und Mütter kommt ein anderer Abschluss überhaupt nicht infrage.

Die Ganztagsschulen zu verbessern und die Lehrpläne weiter zu entzerren ist angesichts der immer größer werdenden Anforderungen an SchülerInnen und LehrerInnen das Gebot der Stunde. Inklusion und Integration, Lernen mit neuen Medien, sozialer Umgang miteinander statt Mobbing – all dies ist von Schule zu leisten. Die Forderung nach Abschaffung des Ganztagsangebotes geht meiner Meinung nach an den Bedürfnissen berufstätiger Eltern -vor allem, wenn sie alleinerziehend sind-völlig vorbei. Gymnasien, denen die Organisation des G8 gelingt, ohne ihre SchülerInnen zu überfordern, sollten auch weiterhin so verfahren können. Die Gesamtschulen -natürlich auch die Mucher- sind von G8 ohnehin nicht betroffen.

Kontakt: E. Hauer, Fraktionsvorsitzender, Email: sanders-hauer@t-online.de

Feb. 2016