Bio oder Gentechnik?

HUNGER IST EIN KIND DER ARMUT, ein Beitrag von unserem Mitglied Bernward Geier

 

Bio oder Gentechnik – wer ernährt die Weltbevölkerung?

Die Tatsache, dass 800 Millionen Menschen unterernährt sind oder (ver)hungern, ist
hinlänglich bekannt. Weniger offensichtlich ist die schizophrene Situation, dass diesem
schon kaum vorstellbarem Leid die Tatsache gegenüber steht, dass wir weltweit etwa 1,2
Milliarden übergewichtige Menschen haben.
Auch bei wachsender Bevölkerung bleibt es eine Tatsache, dass weltweit mehr als
ausreichend Lebensmittel produziert werden. Das Problem ist, dass vor allem Armut den
Menschen leere Teller beschert. Die Situation ließe sich durch viele Fakten untermauern.
Eine Zahl zeigt eigentlich schon alles: 80 % der unterernährten Kinder leben in Ländern,
die Lebensmittel exportieren!
Aktive und Befürworter des biologischen Landbaus werden immer wieder gefragt:
“Verhungert die Welt, wenn flächendeckend ökologischer Landbau betrieben würde?”. Oft
wird dies nicht einmal als Frage formuliert, sondern schlichtweg behauptet: “Die Welt wird
bei flächendeckendem Ökolandbau verhungern!”.
Solche Fragestellungen lenken zunächst nur vom Kern des Problems ab. Die
Mangelsituation bezieht sich ja nicht auf die Menge an Lebensmitteln, sondern auf deren
Verfügbarkeit für die Armen.
Wir brauchen in absehbarer Zeit allerdings eine Steigerung der Lebensmittelproduktion,
nicht nur wegen dem nach wie vor steigenden Bevölkerungszuwachs. Auch die
Verbesserung der Einkommenssituation hat zur Folge, dass sich das Konsumverhalten
maßgeblich verändert, wie z.B. der rasant steigende Fleischkonsum in China.
Zentrale Fragen im Zusammenhang der Welternährung bleiben: Wer produziert und wer
konsumiert was? Wer kann sich leisten, Lebensmittel zu kaufen? Die Frage, wie diese
Lebensmittel produziert werden, wird im Spannungsfeld zwischen Gentechnik und
biologischem Landbau an Aktualität zunehmen.
Eine Produktivitätssteigerung muss vor allem in den Entwicklungsländern realisiert werden
– besonders bei den ärmsten Bauern in trockenen oder marginalen Gebieten. Neben den
verarmten Massen in den Slums und Favellas sind es gerade diese Menschen, die am
meisten vom Hunger bedroht sind. Viele Lösungen werden nicht biologischer Natur sein,
sondern müssen vor allem soziale und ökonomische Bedingungen, wie z. B.
Landverteilung, Zugang zu Krediten, Diskriminierung, Korruption und Unterdrücken der
Frauen lösen.
Im Einstein-Jahr kommt passend von diesem großen Denker eine wichtige Erkenntnis:
“Wir können Probleme nicht mit den gleichen Denkvorstellungen lösen, die selbige
verursacht haben”. Die energieintensive und umweltzerstörende konventionelle
Landwirtschaft führt nicht zu mehr Lebensmittelsicherheit. Neben den bekannten
katastrophalen Auswirkungen des Pestizideinsatzes (200.000 Tote und 20 Millionen
Geschädigte jährlich) führt diese Art von Landwirtschaft zur Ausbeutung der natürlichen
Ressourcen und Zerstörung der Biodiversität und damit zu einer nachhaltigen Zerstörung
der Umwelt. Bei den vielen Argumenten gegen die Gentechnik ist beim Thema Hunger entscheidend,
dass die armen Bauern das teure und patentierte Saatgut und das damit meist notwendige
“Chemiepaket” nicht bezahlen können. Auch können die armen Länder nicht
Umweltrisikoanalysen, Tests und Kontrollen garantieren, die eine Verbreitung der
Gentechnologie mit sich bringt.
Die interessanten und spannenden Beiträge in dieser Ökologie & Landbau zeigen auf,
dass die biologische Landwirtschaft mit all ihren Facetten und insbesondere in
Partnerschaft mit dem fairen Handel ein wesentlicher Beitrag zur nachhaltigen
Ernährungssicherung bietet. Gerade die ökologischen und die fairen Handelsbewegungen
bieten den im besten Sinne des Wortes (nämlich an die Wurzeln der Probleme gehenden)
“radikalen” Ansatz, die Ernährung der Weltbevölkerung langfristig zu sichern.
Es gibt eine Vielfalt an substantiellen Untersuchungen, dass biologische Landwirtschaft
vor allem in marginalen und bio-klimatisch schwierigen Lagen zu einer beachtlichen
Produktionssteigerung führen kann. Die wichtigsten Gründe sind: Verbesserte
Fruchtfolgen, effizientere Ausnutzung der Nährstoffe, Integration von Tieren und Pflanzen
und Steigerung der Diversität.
Der wohl wichtigste Beitrag des biologischen Landbaus zur Nachhaltigkeit ist die Verbesserung
der Bodenfruchtbarkeit.
Kompost, Gründüngung, Untersaaten, Mischkulturen und Fruchtfolgen haben hier ein weitaus größeres Leistungspotential als der Chemiedünger aus dem Plastiksack.
Neben der signifikanten Kostenreduktion bietet der biologische Landbau durch den in der
Regel höheren oder besser fairen Preis einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung der
Armut. In diesem Zusammenhang kommt der sich in Entwicklungsländern positiv
entwickelnden regionalen und nationalen Vermarktung in der Zukunft eine große
Bedeutung zu.

Also wird „Bio“ die Welt ernähren?
Es ist weder Aufgabe der Biobewegung, noch der chemischen oder der Gentechnik
Industrie, die Welternährung zu sichern. Auch in Zukunft werden Bauern und Bäuerinnen
diese Verantwortung haben.
Einige Entwicklungen und Trends müssen auch für die Anhänger des biologischen
Landbaus zu noch konsequenteren Veränderungen motivieren. Vor allem unsere
Essgewohnheiten (hoher Fleischkonsum und viele veredelte Produkte, die moderne
“Fernfütterung” mit langen Transportwegen und unser “Geiz ist geil” bzw. “Billig, will ich”-
Reflex sind aktuelle Herausforderungen.
Eigentlich ist die Voraussetzung einer nachhaltigen Ernährungssicherung ganz eindeutig.
Wir müssen unsere Politik und unser Verbraucherverhalten so ausrichten, dass es allen
Menschen auf dieser Welt möglich ist, für ihre Ernährung selbst zu sorgen. Die
nachhaltige Lösungsvielfalt, die hierzu der biologische Landbau bietet, nehmen uns in die
Pflicht, noch engagierter dafür zu sorgen, dass die Welt weiter biologisch und noch
organischer wächst.

Bernward Geier